Wie leben Erwachsene mit ADHS/ADS?

Betroffene Erwachsene

Auch das Leben eines Erwachsenen kann durchaus von einem weiterhin bestehenden Leidensdruck, verbunden mit einem möglichen frühkindlichen ADHS, bestimmt werden. Man nennt dieses Weiterbestehen kindlicher Symptomatiken »Persistenz« oder in seiner adjektiven Form »persistierende Symptome«.

Im Erwachsenenalter nimmt beispielsweise eine frühere auffällige Hyperaktivität allerdings zumeist einen veränderten Charakter an: Zum Beispiel wird sie von erwachsenen Menschen später oft als permanent erhöhte innere Unruhe empfunden. Diese wundersame Wandlung hat einen ganz pragmatischen Grund: Die Sozialisierung. Ein Erwachsener darf einfach nicht zappelig wirken, muss aufpassen, darf nicht überall hinaufklettern und schon gar nicht ungefragt herausschreien, wie es bei Kinder zwar auffällig ist, aber dennoch weitgehend als »gesellschaftsfähig« gilt.

Deshalb versuchen wir Erwachsene solcherlei Auffälligkeiten allmählich tunlichst zu…

…Verbergen

Erwachsene entwickeln also, sofern sie tatsächlich frühere Symptome weiterhin verspüren (persistierend), mit der Zeit die Fähigkeit, bestimmte Verhaltensmerkmale durch bewusstes »Verbergen« zu kaschieren, also ein oft konträres Verhalten zu entwickeln. Einfach, »weil es sich so nicht gehört«! So können bei Erwachsenen besonders die ansonsten so augenscheinlichen Einzelsymptome wie zum Beispiel Hyperaktivität, Getriebenheit, verkürzte Aufmerksamkeit, Ungeduld und natürlich die bei Kindern dauerhaft erkennbare »Zappeligkeit« in ihrem Umfeld oft jahrelang unerkannt bleiben.

ADHS-betroffene Erwachsene zeigen in der Folge allerdings sehr oft verschiedene andere psychische Störungen, wie z. B. Depressionen, Angststörungen und Störungen des Selbstbildes und Selbstwertgefühls sowie soziale Phobien (Comorbiditäten), die wahrscheinlich kaum jemand mit dem Symtpomcluster ADHS in Verbindung bringt. Betroffene beiderlei Geschlechts können als Begleiterkrankung sogar massive Essstörungen wie Bulimie, dauerhafte Schlafstörungen oder auch organische Begleiterkrankungen (organische Comorbiditäten) entwickeln.

Noch nicht lange bekannt

ADHS im Erwachsenenalter ist allerdings erst seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts einer breiteren Öffentlichkeit bekannt! Auch danach hat es jedoch im europäischen Raum noch einige Jahre gedauert, bis dem Symptomcluster ADHS im Kontext Erwachsene eine breiten wissenschaftliche Anerkennung zuteil werden konnte (in Deutschland z.B. seit 2003, in Österreich kurz danach).

Seitens der Schulmedizin lässt sich jedoch, vor allem in Österreich,  immer noch eine nur sehr zögerliche Anerkennung einer möglichen  Differentialdiagnose »ADHS bei Erwachsenen« beobachten.

Die meisten Erwachsenen, die an heftigen Energieschüben, hoher Risikobereitschaft, Wahrnehmungs-, Schlaf-, Konzentrations- und Impulskontrollstörungen sowie unerklärbarer innerer Anspannung leiden, denken dabei wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise an ADHS! Doch Fakt ist: Bei Kindern fällt es einfach leichter auf! Sie versuchen nicht zu kaschieren, sie sind einfach, wie sie sind. Deshalb entsteht zuweilen jener völlig falsche Eindruck, Erwachsene wären von diesem früher einmal erworbenen Defizit bereits »geheilt«.


Da überdies noch immer viele medizinische Bücher behaupten: »Bei Erwachsenen wächst sich das Hyperaktivitätssyndrom aus!«, muss hier abschließend klar angeführt werden: Die zurzeit gültige Lehrmeinung, dass dem ADHS mit hoher Wahrscheinlichkeit eine starke genetische Prädisposition zugrunde läge, führt zu einem ziemlich offensichtlichen Widerspruch, der sicherlich hinterfragt werden darf: Genetisch bedingte Defekte gehen nicht einfach verloren, nur weil man älter wird! Unser Verhaltenspädagoge, Gerhard Spitzer, meint dazu ergänzend: »…aber auch bei langfristig sozialisierten Verhaltensstörungen kann man kaum davon ausgehen, dass sie einfach so verschwinden und vielleicht sogar überhaupt nicht mehr auftauchen!«

Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann überdies davon ausgegangen werden, dass dem ADHS im Erwachsenenalter schlicht dieselben Wirkungsmechanismen bzw. Störungsbilder zugrunde liegen, wie im Kindes- und Jugendalter, was aber noch keineswegs ausreichend beforscht ist.

Die Prävalenz  von ADHS im Erwachsenenalter wird mit 1,3 % bis 4,7 % angegeben. Zwischen 30 % und 70 % der ADHS-betroffenen Jugendlichen behalten die Störung auch im Erwachsenenalter bei (Persistenz); hierzu ist die Forschung aber noch nicht abgeschlossen.