Wann wird ADHS zur »Modediagnose«?

Eine jener Fragen, die zahllose Eltern und Interessierte besonders häufig an Experten richten, darf natürlich bei KONZENTRUM keinesfalls unbeantwortet bleiben:

Ist ADHS denn nun eine Modediagnose oder nicht?

Wie bei so vielen medizinischen Belangen lässt sich allerdings auch diese Frage nicht zweifelsfrei mit einem »ja« oder »nein« beantworten!

Beantworten wir sie daher also eher mit Offenheit und Verständnis…

Eines lässt sich jedenfalls deutlich beobachten: In der kürzeren Vergangenheit geht es offenbar vielen interessierten Menschen, vor allem »vielleicht betroffenen« Eltern, immer häufiger aber engagierten Lehrpersonen mit der Diagnose ADHS ein wenig zu schnell. »Ein Kind, dass beispielsweise durch häufige Unruhe eine zeitlang im schulischen Kontext ein wenig aus dem Rahmen fällt«, berichtet eine Lehrervertreterin, »wird oft ziemlich schnell mit ADHS zumindest in Verbindung gebracht!«

Sieht man es von diesem durchaus nachvollziehbaren Standpunkt, verhält sich die aktuelle Wahrnehmung von ADHS zurzeit zweifelsfrei als klassische »Modediagnose«: Bestimmte Einzelsymptome sind es also, die heutzutage sicher öfters auftreten, und die dann auch oft ziemlich leichtfertig gleich mal dem viel komplexeren Symptomcluster ADHS zugeschrieben werden.

Aber ob nun ADHS als komplexes Erscheinungsbild ebenfalls immer häufiger auftritt, quasi als Kinder-Volkskrankheit, kann in diesem Abschnitt versuchsweise so beantwortet werden:

ADHS historisch

ADHS als Verhaltensbild und wohl auch als Auslöser für Leidensdruck bei bestimmten Menschen hat es in der Menschheitsgeschichte offenbar schon immer gegeben (siehe hier)! Und das auch noch bei ähnlicher Verbreitung.

Die nur allzu oft laut werdenden Vermutungen, die Hirn-Stoffwechsel-Störung, die dem ADHS zu Grunde liegt, »habe stark zugenommen und sei eben ein Zeichen unserer Zeit…«, sind auch wissenschaftlich bisher nicht belegt.
Auch nach übereinstimmender Meinung vieler Mediziner und Psychologen sind heutzutage nicht signifikant mehr Kinder und Erwachsene betroffen als früher.
ADHS wird vielmehr eine zunehmend größere Beachtung geschenkt. Einerseits ist das sicherlich auf neuere Diagnosemethoden zurückzuführen, die ein ADHS heute deutlicher von einer anderen Störung abgrenzen.
Auf der anderen Seite hat es eben auch Veränderungen in der Familienstruktur und Erziehung gegeben. In den auf 1 - 2 Kinder geschrumpften Familien hingegen kann und wird jedem einzelnen Kind ein größerer Stellenwert eingeräumt, als dies noch in den kinderreichen früheren Großfamilien der Fall war.

Und dann sind da noch die Medien, für die eine namhaft machbare kindliche Störung immer auch so etwas wie ein »gefundenes Fressen« darstellt.
Durch die aktive Mitarbeit der Medien tritt als der mit ADHS assoziierte Verhaltens-Komplex also aktuell verstärkt und offensichtlicher zu Tage.

Doch wie stark ist ADHS nun wirklich verbreitet?

Verbreitung (Prävalenz)

Nach neuesten Erkenntnissen soll das Syndrom allgemein bei Buben bis zu viermal höher auftreten als bei Mädchen. Möglicherweise leiden Mädchen häufiger unter ADS ohne Hyperaktivität und fallen dadurch seltener auf. Oft werden diese dann als dauernd abwesende »Träumerinnen« wahrgenommen!

Die Prävalenz, also der Verteilungsgrad in der Bevölkerung, liegt bei 3-7 % (Durchschnitt: 5-6 % der Kinder und Jugendlichen von 7-17 Jahren). In den USA, glaubt man neueren Schätzungen, wird sogar von bis zu 9 % und darüber ausgegangen.

Mehr als 70.000 Erwachsene und derzeit wohl mehr als 100.000 Kinder und Jugendliche werden alleine in Österreich derzeit mit dem Symptomen-Cluster ADHS in Verbindung gebracht. (Quelle: APA; Zahlen können je nach Studien differieren)